KEEP THE MONEY, WE´LL TAKE THE SPACE
Immer schon hat die Architektur die Stimmungslage ganzer Generationen widergespiegelt und die Krisen der jeweiligen Gegenwart mit durchaus provokanten Projekten hinterfragt. Insbesondere die Architekturkollektive der 1960er-Jahre, wie Superstudio, Archizoom, Haus Rucker & Co oder Archigram, um nur einige zu nennen, begannen sich stark zu politisieren und entwickelten Visionen, die nichts Geringeres als die Neuordnung des Sozialen, der Freiheit und der Emanzipation forderten. Die gegenwärtigen sozialen und ökologischen Krisen verlangen erneut nach künstlerischen Strategien und einer architektonischen Praxis, die staatliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Themen neu verhandeln und den neoliberalen Kapitalismus zum Einsturz bringen.1
Architektur ist nicht nur ein Instrument, um Gebäude zu planen, sondern ein aktives Mittel, um Raum und Gesellschaft zu gestalten. Anh-Linh Ngo beschreibt im ARCH+ 258 die Urbane Praxis als netzwerkartige Strategie, die in der Lage ist, gesellschaftliche Transformationen zu gestalten, die soziale, kulturelle, politische und ökologische Themen zugleich berücksichtigen. Architekturprojekte haben das Potenzial gegen die kommerzialisierte Stadt zu aktivieren, indem sie Räume öffnen, Routinen sprengen und neue Narrative entfachen. Der architektonische Entwurfsprozess ist dabei deshalb so wichtig, da es ohne künstlerische Imagination keine Transformation gibt und damit keine Kultur des Widerstands entsteht.2
Die Kathedralen des Geldes sind die öffentlichen Räume der Zukunft
Wie Anh-Linh Ngo vorschlägt, beginnen wir mit einer Inventur, die eine kritische Wahrnehmung und Transformation voraussetzt. Unsere Inventur beginnt dort, wo sich Vermögen und Schulden anhäufen, in den Tempeln des Kapitalismus, den Banken selbst. Banken repräsentieren sich auf architektonischer, urbanistischer und politischer Ebene. Sie stehen für Kapital. Und meist sehr zentral. Beeindruckend gestaltet, sollen sie Sicherheit, Seriosität und Beständigkeit ausstrahlen. Die Geschichte hat gezeigt, dass dem nicht so ist.
Obwohl in Österreich Banken mit 15 Mrd. Euro neue Rekordgewinne pro Jahr erzielen, scheinen eine Bankenabgabe ein No-Go bei Regierungsverhandlungen zu sein. Ebenso müssen wir den von den Banken in Anspruch genommenen Raum in Frage stellen, steht er doch in keinem Verhältnis zum tatsächlich Raumbedarf.
Angesichts dessen lässt man uns keine Wahl. Nach dem Motto Keep the Money, we´ll Take the Space stürzen wir die Banken in eine Krise, indem wir sie überfallen, ihren Raum besetzen und ihr repräsentatives Volumen der Öffentlichkeit zurückgeben. Statt neu zu entwerfen, geht es darum, soviel wie möglich offen zu legen und mitzunehmen, um der Öffentlichkeit sowohl lebendige als auch diverse und ästhetische gelungene Möglichkeitsräume zu eröffnen, die insbesondere marginalisierte Positionen als Ausgangspunkt der Gestaltung berücksichtigen.
Methode: Wenden und Stülpen des Raumes
Um den Ort des Kapitals in einen wahrhaft öffentlichen Ort zu verwandeln, bedarf es methodisch nicht weniger als einer Revolution. Unter Revolution verstehen wir gewöhnlich einen tiefgreifenden, meist rasanten Wandel gesellschaftlicher Strukturen, der politische, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse fundamental verändert, indem der Sturz bestehender Machtverhältnisse durch kollektive Mobilisierung erreicht wird.
Etymologisch betrachtet bedeutet Revolution aber auch revolutio – Umdrehen oder Zurückwälzen, was wir sowohl als inhaltliches Motiv als auch als Entwurfsmethode in Form von Umstülpen und Wenden für die Transformation des Raums verwenden. Die Rede vom „Wenden“ oder auch „Kehren“ von Raum findet sich in der Philosophie bereits in Kants Formulierung eine Revolution der Denkart.
Der Bankenraum soll in mehrerlei Hinsicht einen Paradigmenwechsel vollziehen – vom kapitalistischen zum sozialen Raum, vom privaten zum öffentlichen Raum, vom Innenraum zum Aussenraum. Diesem Paradigmenwechsel nähern wir uns entwurfsmethodisch durch das Konzept des Wendens bzw. Umstülpens von Raum. Bei diesen Transformationsprozessen zeigen sich mannigfaltige Metamorphosen der räumlichen Gebilde entlang diverser Prozesse. Anhand von Modellen soll veranschaulicht werden, was geometrisch und topologisch beim Umstülpung oder Wenden passiert. Für gewöhnlich orientieren wir uns in alltäglichen Situationen an räumlichen Verhältnissen wie oben, unten, links, rechts, vorne und hinten, darunter und darüber etc. Diese Beschreibung von Raum ist im Alltag hilfreich da sie konstant ist und uns Halt und Orientierung gibt. Bei Umstülpungsvorgängen unterliegen diese Begriffe einer Veränderung und vollziehen eine Metamorphose.
Die Gesellschaft kann sich in ihrer Gesamtheit nur im öffentlichen Raum konstituieren. Hier findet das aktive soziale Handeln statt. Denn wir alle haben, nach Henri Lefèbvre, ein Recht auf Stadt, auf Aneignung, Partizipation und auf Differenz. “Das Recht auf Stadt ist ein gesamtgesellschaftliches Anrecht auf Begegnung, Teilhabe, Austausch, das grosse Fest und einen kollektiv gestalteten und genutzten städtischen Raum”.
“Ein anschauliches Beispiel bietet das Wenden eines Handschuhs. Während des Wendevorgangs wird der Handschuh durch seine Öffnung gewendet. Ein rechter Handschuh wendet sich auf links, sein Inneres kehrt sich nach außen, die anfangs nach außen gewölbten und nach unten hängenden Finger zeigen nun nach innen gekehrt aufwärts, und der Handschuh paßt nun nicht mehr rechts, sondern links. Und doch kann man den Handschuh in seiner umgestülpten Form als einen Handschuh erkennen. Aus diesem Beispiel kann man sehen, wie sich oben und unten, rechts und links, vorn und hinten, innen und außen in einem zeitlichen Prozeß in ihr jeweiliges Gegenteil verwandeln können. Bei genauerer Überlegung kommen noch zwei weitere Aspekte hinzu: Durch das Vertauschen von innen und außen verändert sich das Verhältnis des Handschuhs zum jeweils umschlossenen Innenraum und zum umgebenden Umraum. Der anfangs räumlich begrenzte Innenraum mit Zentrum (Mitte) wird durch das Wenden zu einem unendlich großen umhüllenden Umraum und der anfänglich umgebende Umraum zu einem begrenzten Innenraum mit Zentrum.” 3
1 Flucht aus der Gegenwart: Wann hat die Architektur aufgehört globale Themen mitzugestalten?
Rezension von Dennis Pohl, ARCH+258, https://archplus.net/de/flucht-aus-der-gegenwart-superstudio-migrazioni-civa
2 Urbane Praxis – Gemeinsam Stadt gestalten, Anh-Linh Ngo, ARCH+ 258, https://archplus.net/de/aktuelles-heft
3 Umstülpung: Geometrie in Bewegung Alexander Heinz, Herdecke, 2009
Dates:
Einführung: Mittwoch, 5.3.2025 um 10:00 am ./studio3
Das Entwerfen findet immer mittwochs statt.
Bildrechte: Kathrin Aste